Schule – Mittelstufe
Mittelstufe
Eine neue Sicht auf das Leben
Mit Beginn der siebten Klasse ändert sich nicht nur die Art des Lernens. Auch der Schultag verlängert sich bis 15.10 Uhr. Gleich das erste Projekt lässt die Schüler*innen diese Herausforderung mit Freude annehmen: das Marionettenstück.
Bei diesem Projekt erfahren die Jugendlichen ganz unmittelbar die Faszination und Vielseitigkeit des Projektunterrichts. Die Kinder bauen über Wochen an den eigenen Marionetten und schneidern die Kostüme. Sie bringen sich in die Textgestaltung und den Kulissenbau ein, sie unterstützten bei der musikalischen Umrahmung.
Die Mittelstufe führt die Schüler*innen in der Folge immer wieder auf neues und in den Themen komplexes Terrain – zum Beispiel in die Lehrküche, in naturwissenschaftliche Zusammenhänge, in handwerkliche Betriebe, zu Begegnungen mit der älteren Generation, zu einer mehrtägigen Outdoor-Fahrt, zum Praktikum auf einem Bauernhof, zum Abschlussball in feiner Abendgarderobe. Es sind Erlebnisse, die die Jugendlichen tief berühren, erfüllen und sie aus vollem Herzen die Welt umarmen lassen.
Kunstunterricht
Von der Leistungsbefürchtung zur Formulierungshilfe
Viele Schüler*innen gehen mit der Befürchtung in den Kunstunterricht, dass sie nicht zeichnen, malen oder formen können. Dass etwas herauskommt, mit dem sie nicht zufrieden sind, dass die Erwartung der Lehrer*in nicht erfüllt oder mit dem sie sich zum Gespött der Klasse machen.
Für Minka Monika Maslowski, Kunstlehrerin an der Waldorfschule Potsdam, zählt der Prozess, das Erleben: „Wenn jemand sagt, er könne kein Pferd zeichnen, dann sage ich: Gehe weg von der Vorstellung, wie der Umriss oder das Drahtgeflecht eines Pferdes aussieht. Traue dich rein, erlebe das Pferdegefühl.“
Ein Urfach der Waldorfschule
Mit dem Selbstverständnis einer Förderin bzw. Ermöglicherin schickt sie die Kinder auf eine lange Erlebnisreise, denn Kunst ist ein Urfach der Waldorfschule und Pflichtfach bis ins Abitur. Zunächst ist Kunst Teil des Hauptunterrichts, ab der 5. Klasse eigener Fachunterricht. Minka Monika Maslowski gibt den Kindern und Jugendlichen im Rahmen des Kunstunterrichts altersgemäße Formulierungshilfen an die Hand, damit sie das Verhältnis zwischen dem Ich und der Welt erlebbar machen können und schöpfen können aus ihrem inneren Reichtum.
„Wichtig ist mir, dass die Kinder und Jugendlichen ins Imaginäre eintauchen und etwas von dieser Reise mitnehmen. Das kann auch mal das Gefühl des Scheiterns sein. Nicht zufrieden mit dem Ergebnis zu sein, schafft Raum für Neues, für einen anderen Weg und damit für ein anderes, besseres Erlebnis“, sagt Minka Monika Maslowski.
Vom Holz über Schwarzweißzeichnungen bis zur Abstraktion
Anfangs arbeiten die Kinder viel mit Holz und beschäftigen sich mit malerischen Techniken. In der 5. bis 9. Klasse, wenn viele Schüler*innen sich halt- und orientierungslos fühlen, rücken perspektivisches Zeichnen und Schwarzweißkontraste in den Fokus – eine kleine Hilfestellung bei der Neuausrichtung. Ab der 10. Klasse wird in altersgemischten Klassen unterrichtet. Themen sind beispielsweise der Übergang vom Analogen ins Digitale, von der Klassik in die Moderne, auch Kunsttheorie.
Die Idee muss an erster Stelle stehen
Minka Monika Maslowski sorgt dafür, dass der künstlerische Werkzeugkasten sich füllt und dabei gleichzeitig soziale Souveränität heranwächst. Das ist besonders in der 13. Klasse zu beobachten, wenn sich die Schüler*innen jeweils eine*n Künstler*in vornehmen und ihn durcharbeiten.
Ohne Material- oder technische Vorgaben können sie ihrer Vorstellungskraft freien Lauf lassen und ihre Visionen ins Weltliche übersetzen. Dabei wird ein Grundsatz von Minka Monika Maslowski deutlich: „Die Idee muss immer größer als das Material sein. Im Unterricht lernen die Schüler*innen Techniken, Materialien und Prozesse kennen. Dann gilt es, all das für ihre Idee zu beugen. Entsprechend geht es mir nicht um Fleißarbeit, sondern um Empathie. Ich benote nicht das Ergebnis, sondern die Auseinandersetzung mit dem Prozess und den Mut, sich auf das Thema einzulassen.“
Physik
Das Geheimnis des Milchschaums
„Das Abendrot am Himmel, die Kommunikation mit Mobiltelefonen, der Milchschaum auf dem Cappuccino, die knarrende Diele, die Farbe auf dem Papier im Schulheft, selbst der herunterklappende Deckel des Briefkastens – das alles ist alltäglich und doch reine Physik“ erzählt Jaison Kavalakkatt, Physiklehrer an der Waldorfschule Potsdam.
Begeisterung für die Physik weitergeben
Diesen und weitaus anspruchsvolleren Phänomenen auf den Grund zu gehen und sie zu verstehen, das ist die Faszination der Physik. Jaison Kavalakkatt wurde von ihr schon in der Schulzeit erfasst: „Ich möchte die Welt besser verstehen und den Schüler*innen meine Begeisterung weitergeben – damit auch sie die Phänomene, denen sie begegnen, besser verstehen.“
Grundlage des phänomenologischen Physikunterrichts an der Waldorfschule Potsdam sind nicht trockene Formeln oder komplizierte Gesetze, sondern spannende Experimente. So setzt Jaison Kavalakkatt innerhalb der Physikepochen mindestens einen auf das Alter der jeweiligen Klasse abgestimmten Versuch pro Epochentag an.
Beobachtungssinn schulen
Ziel seiner Experimente ist es, den Beobachtungssinn der Schüler*innen zu schulen. Neben dem Offensichtlichen sollen sie auch die vermeintlichen Kleinigkeiten erfassen: „Wir begrenzen unsere Beobachtungen nicht auf das Sehen. Ich fordere meine Schüler*innen dazu auf, auch das Hören, Riechen und Tasten zu nutzen. Sie sollen lernen, die wirklich wichtigen Beobachtungen herauszufiltern“, sagt der Physiklehrer.
Erklärungen liegen in den Schüler*innen selbst
Im Klassenverbund können dies alle gemeinsam schaffen. Das Verstehen und die Erklärungen der beobachteten Phänomene stecken nach Überzeugung von Jaison Kavalakkatt in den Schüler*innen selbst: „Kleinere gezielte Fragen helfen dabei, diese Erklärungen an die Oberfläche ihres Bewusstseins zu heben. Und dann dauert es nicht mehr lange bis zum Aha-Effekt.“
Verstehen statt lernen
Natürlich sollen auch nach seinem Unterricht in den höheren Klassen die bekannten Formeln sitzen. Doch nach Erfahrung des begeisterten Rennradfahrers Jaison Kavalakkatt verlieren die Formeln ihren Schrecken: „Schließlich müssen wir die Formeln nicht langwierig und theoretisch prüfen und beweisen, weil wir bereits aus unserer Erfahrung wissen, dass sie stimmen.“ Auch daran wird es wohl liegen, dass sich die Schüler*innen auf den Physikunterricht freuen, während Physik sonst weniger beliebt ist.