Schule – Unterstufe
  • Archivfoto der Waldorfschule Potsdam

Unterstufe

Immer in Bewegung

In der ersten und zweiten Klasse ist der*die Klassenlehrer*in nicht nur Lehrer*in, sondern auch eine wichtige Bezugsperson. Deshalb bleiben die Klassenlehrer*innen während der gesamten täglichen Schulzeit bei ihrer Klasse und unterrichten auch möglichst viele Fächer selbst – ab der fünften Klasse dann bis 14:20 Uhr.

Seit 2003 arbeiten wir in der Unterstufe nach dem Prinzip des „bewegten Klassenzimmers“; dazu nutzen wir Bänke, Kissen und Einzel-Klapptische. So können wir bei Bedarf schnell und unkompliziert zwischen Kreis, Gruppenarbeit, Einzelarbeit und Partnerarbeit an Gruppentischen oder in Reihen wechseln.

Häufig bauen wir mit dem Mobiliar auch einen Parcours auf – eventuell ergänzt durch Hengstenberggeräte –, wo die Kinder ihre motorischen Fähigkeiten üben und weiterentwickeln können. Das Klassenzimmer ist also mehr als nur ein Raum des Unterrichts: Im Klassenzimmer wird gefrühstückt und geruht. Hier wird gespielt, geturnt und gearbeitet. Auch übernehmen die Kinder beispielsweise die Raum- oder Pflanzenpflege.

INHALT

Russisch

Melodische Entwicklungshilfe
An der Waldorfschule Potsdam haben die Schüler*innen von der ersten Klasse an sechs Jahre Russischunterricht. „Die vielen weichen Konsonanten und Vokale geben der russischen Sprache einen melodischen, wohlklingenden Charakter“, sagt Russischlehrerin Jelena Shevnina. Die russische Sprache erreicht die Kinder daher unmittelbar. Sie fördert die emotionale Entwicklung der Kinder, schult ihr Gehör und das analytische Denken. „All das sind wichtige Voraussetzungen, um später andere Sprachen zu lernen“, so die Russisch- und Polnischlehrerin, Übersetzerin und Dolmetscherin.

Wachsende Bedeutung in der globalen Welt
Für die Muttersprachlerin Jelena Shevnina sind das aber längst nicht alle Argumente für den Russischunterricht: Russisch wird immer wichtiger in der globalen Welt, in der sich die Länder einander immer näher kommen. Zudem wird Russisch immerhin auf einem Sechstel der Erdfläche gesprochen.

Sprache am konkreten Gegenstand erfahren
Umso wichtiger ist es Jelena Shevnina, dass die Kinder an der Waldorfschule keine abstrakten Vokabeln lernen, sondern über die Sprache ein Gefühl für die andere Welt, deren Kultur und Denkweisen bekommen – dass sie ein warmes Gefühl für die Sprache entwickeln. Die Kinder haben Freude am Klang der Sprache, am Malen der kyrillischen Buchstaben, sie sind stolz, etwas zu können, was die meisten ihrer Eltern nicht können.

In ihrem Unterricht macht sich die Sprache am konkreten Gegenstand oder einer konkreten Tätigkeit fest. Entsprechend der Themen im Hauptunterricht geht es in der zweiten Klasse beispielsweise um Tiere und in der dritten Klasse um Berufe. 

Durch diese situative Sprachvermittlung haben die Kinder die Chance, sich im richtigen Moment richtig auszudrücken. „Was nützt es mir, die Sprache perfekt zu sprechen, aber die Menschen nicht zu kennen? Dann redet man an den Menschen vorbei. Ich verstehe den Russischunterricht deshalb auch als einen Beitrag zur Völkerverständigung“, sagt Jelena Shevnina.

Das Sechstklassstück als Höhe und Schlusspunkt
Das in russischer Sprache aufgeführte Sechstklassstück ist der Höhepunkt des Russischunterrichts – und zum Leidwesen von Jelena Shevnina leider auch sein Schlusspunkt: „Anders als im Deutschen ist der Satzbau im Russischen frei. Vieles hängt daher von der Betonung ab. Dazu passt es, dass Jelena Shevnina mit denen Kindern im Russischunterricht viel singt, tanzt und Szenen spielt. „Die Kinder sollen sich in der Sprache frei bewegen lernen“, so Jelena Shevnina. Das Theaterspiel ist also der ideale Ort für den Russischunterricht – für Jelena Shevnina ohnehin: „Ich liebe Theater mit all seinen Facetten – die Kostüme, die Sprache und die Bühne. Das ist das Leben.“

Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung
Jelena Shevnina freut sich, dass ihr Russischunterricht in der Entwicklung der Schüler*innen ein Puzzlestück auf dem Weg zu einem vielschichtig gebildeten, eigenständig denkenden, fühlenden und freien Menschen ist. Auch wenn sie sich – gerade vor diesem Hintergrund – wünschen würde, den Russischunterricht bis ins Abitur fortzusetzen, sagt sie: „Ich bin eine glückliche Lehrerin.“

Handarbeit

Ein Fach mit vielen Schnittstellen
„In Handarbeit“, sagt Jelena Shevnina, „ist einfach alles drin.“ Es brauche Wissen für den Umgang mit verschiedensten Materialien. Für das Zählen und Rechnen sei Mathematik unverzichtbar. Die Verwendung verschiedener Farben sei Malen mit Nadeln. An der Nähmaschine und beim Filzen gehe es um Physik und beim Filzen auch um Chemie. Auch Geschichte spiele eine Rolle, wenn etwa Erfindungen wie die Stricknadel einzuordnen seien. „Wenn man dem Takt der Stricknadeln oder der Nähmaschine lauscht, ist das pure Musik. Und die Gestaltung bzw. Kombination von Formen und Farben – das ist Kunst“, erzählt die Handarbeitslehrerin begeistert.

Die Leidenschaft der Oma
Die Handarbeit hat sie schon als Kind lieben gelernt – immer wenn sie damals, als Kind, in der Sowjetunion während der Sommerferien für drei Monate zu ihrer Oma gefahren ist: „Meine Oma hat ständig Handarbeit gemacht – von der Schürze bis zur Unterwäsche. Es war wunderbar, ihr dabei zuzuschauen.“ Mit der gleichen Begeisterung staunt sie noch heute über das, was in den Händen der Kinder ganz ohne Vorlagen entsteht.

In der 6. Klasse etwa gestalten die Kinder ihr eigenes Stofftier vom ersten Entwurf auf Papier über den Schnitt bis hin zum plastischen Objekt. „Jedes Tier ist anders, aber alle sind schön“, freut sich die Mutter zweier Söhne, die ebenfalls die Waldorfschule Potsdam besuchen. Sie hilft ihren Schüler*innen über die kleinen und großen Klippen der Handarbeit – zum Beispiel beim Stopfen oder dem Wenden der Hülle.

Den Kindern über die kleinen Klippen helfen
Handarbeit ist für viele Schüler*innen gleichwohl eine Herausforderung. Räumliches Verständnis und die Technik müssen viele erst noch aufbauen und manche Kinder stehen plötzlich vor einer scheinbar unlösbaren Aufgabe. In diesen Situationen helfen oft Bilder: Als einmal mit verschiedenen Farben Socken gestrickt wurden, wussten manche nicht, wie sie die verschiedenen Teile verbinden sollten. Mithilfe von Bildern ging es dann: erst den Berg herunterrutschen, um den See herumgehen und dann wieder den Berg hochklettern. „Ich liebe die glücklichen Gesichter der Kinder, wenn sie mir mit Begeisterung über ihre Bergtour erzählen“, freut sich Jelena Shevnina.

Techniken schaffen Ausdrucksmöglichkeiten
„Es geht nicht darum, den Kindern möglichst viele Techniken beizubringen. Die verschiedenen Techniken helfen den Kindern, sich frei im Material zu bewegen. Wer sie beherrscht, hat zusätzliche Ausdrucksmöglichkeiten“, sagt Jelena Shevnina. Da Handarbeit an der Waldorfschule bis in der 9. Klasse auf dem Lehrplan steht, kann sie verfolgen, die wie sich diese Möglichkeiten entwickeln.

Ein Privileg
Immer wieder erlebt sie, wie bei Schüler*innen, die sich lange mit Handarbeit geplagt haben, plötzlich der Knoten platzt. Da kommt dann von einem Schüler plötzlich ein Satz wie: ,Handarbeit hat etwas sehr Entspanntes. Ich verstehe jetzt, warum ich Handarbeit mache.’ Ein anderer sagte beim Bügeln einmal: ‚Ist das schön. Alles wird so schön glatt. Das ist so etwas sehr Befriedigendes.’ Diese Momente sind es, aus denen Jelena Shevnina immer wieder neue Kraft schöpft. „Es ist ein Privileg, Kinder über so viele Jahre zu begleiten, ihnen Anstöße geben zu dürfen und sich dabei selbst entwickeln zu können“, freut sich Jelena Shevnina.