„Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen …“ —M. Claudius
Das könnten wir vor allem von der Rückfahrt – abendfüllend. Aber beginnen wir am Anfang: Es ist das Corona-Jahr 2021, zwei Kunstfahrten sind in den Jahren zuvor geplant worden und mussten doch wieder abgesagt werden. In Italien herrschten die striktesten Regelungen, unter denen wir als Gruppe kaum ins Land und vor allem in kein einziges Museum gekommen wären. In dieser Zeit war es, als wir uns als Klassengemeinschaft mit Schüler.innen und Eltern entschieden: Wir fahren nach Florenz!
Auch wenn sich die Regelungen hierzulande und in Italien noch weiter verschärften: die Klasse begann Geld zu sammeln, sie kochte, backte, bewirtete und die Eltern sparten und spendeten. Dann fiel der Lehrer aus, der alles in der Hand haben sollte. So organisierte sich die Klasse einfach selbst: Es wurden Unterkünfte gesucht und gebucht und Lotte nahm den Transport für die ganze Gruppe in die Hand. Als der Lehrer endlich wieder zurück kam, konnte er nur staunen und „Danke“ sagen.
Und dann lief alles wie von magischer Hand geleitet: Am 23.5. saßen alle im Zug, wir erreichten Florenz zur angegebenen Zeit und fanden unsere Unterkünfte – auch wenn eine Gruppe erst mit dem Kopf durch die Wand musste, bevor sie ihre Betten fand (ich habe es später selbst nachprüfen dürfen, als Mme Pape und ich von den Schüler.innen zu einem wunderbar leckeren und fröhlichen Abendessen (!) eingeladen wurden: es gab keine Tür, nur Hauswand – die sich jedoch an einer Stelle (wie eine altertümliche Geheimtüre) öffnen ließ).
Nach einer ersten Stadtdurchwanderung bei 30° Celsius tauchten wir ein in die Renaissance. Die Hitze blieb uns bis zum Ende treu, kreuz und quer durch die Stadt, hinauf zu San Miniato al Monte, der geheimnistragenden Kirche aus dem Ende des 12.Jahrhunderts. Nur am Strandtag in Pisa war es passenderweise kühler!
Oft waren wir schon früh am Morgen unterwegs, wenn die Straßenreinigung noch zugange war und nichts darauf hin deutete, dass sich schon in Kürze wieder Ströme von Menschen durch die engen Gassen mit den kleinen und so einladenden Geschäften und Überraschungen an jeder Ecke schlängeln werden – ein Labyrinth aus Stein, Gerüchen und Geschichten in dem man sich leicht verlaufen könnte, wenn nicht alles so nah beieinander wäre und immer wieder – wie bei einem Versteckspiel – plötzlich der Dom durch die Gasse oder über Häuser hinweg lugte und Orientierung gäbe.
Wir könnten viel über die einzelnen Kunstwerke erzählen die uns begegnet sind – und doch muss man sie selber sehen, um sie sprechen zu hören. Manche haben beeindruckt, manche weniger und manches wird erst richtig aufgehen mit etwas Abstand im Nachgeschmack. Auf jeden Fall haben wir vieles entdeckt, selbst an so bekannten Werken wie dem David von Michelangelo, der beim Umrunden auf seinem hohen Sockel plötzlich in innere Bewegtheit geriet und von verschiedenen Seiten betrachtet ganz überraschende Gefühlsschwankungen offenbarte. Solche Erlebnisse findet man nur vor Ort. Genau wie das Hören von Gesetzen der Architektur: verschiedenste Kirchen, Kapellen, Krypten und sogar überdachte Durchgänge haben wir an unserem Lied resonieren lassen – immer wieder aufs Neue verblüfft, wie unterschiedlich der Raumklang, der Nachhall trägt oder wie intensiv es tönt, beim Treffen des Grundtons eines Raumes. Oft war es noch still, nachdem der letzte Ton entschwebt war. Atemberaubende Stimmung! Bald waren wir bekannt in Florenz und wurden auch schon mal unterwegs angesprochen, ob wir nicht auch hier wieder singen wollten.
Eine Stadt als Kunstwerk. Eine Stadt voller Kunst: Überall stießen wir auf Gebäude, Gemälde und Skulpturen, die wir in den Bänden der bedeutendsten Kunstwerke gesehen hatten. Und wo sonst findet man so herausragende Kunst nicht nur in Museen sondern einfach auf der Straße, wie die Paradiestüren außen am Baptisterium oder die Skulpturen an Orsanmichele? Und dann gab es noch die Nachtkultur. Doch die verbarg sich – abgesehen von wenigen, sehr eindrücklichen Ausnahmen – für die Lehrenden hinter der Fassade des guten Anscheins. Aber am nächsten Morgen standen alle pünktlich wie nie am verabredeten Treffpunkt!
So war unser Eintauchen in die Welt der Kunst in Florenz um einiges intensiver als es Goethe auf seiner Italienischen Reise 1786 vergönnt war, der nur 3 Stunden in der Stadt verbrachte. Wenn er wüsste, was er verpasst hat! Es wird noch eine Weile brauchen, bis sich die überlagernden, unzähligen Eindrücke in ein Erinnerungspanorama einordnen. Für mich bildet diese Fahrt auf jeden Fall das wunderbare Ende einer eindrücklichen Reise, eine beglückende Abrundung und Krönung nach 18 erlebnisreichen Jahren an dieser Schule, für die ich sehr dankbar bin!
Ach, apropos Ende der Reise: Die Rückfahrt?! Ja, das wäre auch noch mal eine ganz eigene Geschichte: wie wir schon in den Alpen durch Blitzeinschlag im Hauptleitwerk, durch gerissene Oberleitungen und unvorstellbare Verzögerungen von immer neuen Zügen dank Tanzen im spontan umfunktionierten (Disco-) Wagen, Schlafen zwischen Kofferbergen auf dem Boden des Doppelstockwagens nichtsdestotrotz langsam nach Berlin zurück gezuckelt sind und statt nach 15, schließlich nach mehr als 22 Stunden – immer noch gutgelaunt – in Potsdam angekommen sind!
(Robert Stammler)