Bewährte Prinzipien der Waldorf-Jugendpädagogik mit einem Rundblick auf anschlussfähige neue wissenschaftliche Positionen und eine Reihe von Innovationen bzw. Erfüllung bisheriger Desiderate, darauf zielt das dritte von Angelika Wiehl mit Frank Steinwachs herausgegebene Studienbuch bei utb.
Grundlagen, Bildungserfahrungen und Sinnstiftung, gesellschaftliche Herausforderungen lauten die drei Schwerpunkte. Nach 100 Jahren Waldorfpädagogik kommt hier eine Auffrischung mit dem Ziel, Jugendliche selbstsicher und urteilsfähig werden und ihre Identität finden zu lassen.
Einige der 22 Artikel stellen methodische Grundlagen dar, etwa zur Erkenntnistheorie, zu „latenten Fragen“ oder „lebendigen Begriffen“. Traditionelle Fachbereiche wie Naturwissenschaften, Sprache und Literatur, Musik werden ergänzt um Querschnittsaufgaben: Medienbildung oder Dialogfähigkeit bedürfen der Zuwendung besonders nach unseren beunruhigenden Erfahrungen mit Klimakrise, Pandemie, Krieg.
Politisch aufgeladene Themen wie Postkolonialismus, sexuelle Bildung, Gender und Inklusion aufzugreifen stellt kein neumodisches Anbiedern an den Zeitgeist dar, sondern bezieht relevante, bislang aber zu wenig ausgeleuchtete Bereiche ein, immer aus dem Blickwinkel der Begleitung Jugendlicher.
Die Verfasser*innen können zumeist aus Lehrtätigkeit und eigenen Untersuchungen schöpfen. Jeder Beitrag ist unabhängig lesbar. Verweise und ausführliche aktuelle Literaturangaben laden zur eigenständigen Vertiefung ein.
Alle Artikel nehmen ihren Ausgangspunkt bei den Entwicklungsaufgaben im Jugendalter, die aus dem Fokus der einzelnen Themen neu beleuchtet werden. Ein paar Kostproben: Wiehl verweist auf das in einigen Wissenschaftsrichtungen geforderte lebendige, ganzheitliche Denken. Steinwachs empfiehlt, durch Unterricht individuell und holistisch Sinnstiftung ausbilden zu lassen. Reus schlägt ein tieferes Kennenlernen der freien Persönlichkeit anhand des reflektierenden Ichs durch Philosophie vor. Wiehl wünscht sich mehr Sinnhaftigkeit im Unterricht und empfiehlt zur Selbstwirksamkeitserfahrung mehr Übergangsrituale. Rawson kritisiert teilweise noch nicht dekolonialisierte, die eurozentrisch-weiße Perspektiven bevorzugende Lehrpläne, um Machtverhältnisse sichtbar zu machen. Beckel wirbt für eine geschlechtergerechte Sprache, um Stereotype abzubauen…
Dieses Studienbuch zur Mittel- und Oberstufe kann für Waldorf-Neulinge wie Altgediente oder Eltern mit Blick auf das 21. Jahrhundert empfohlen werden.
(Eine Langfassung der Rezension findet sich unter → https://www.erziehungskunst.de/artikel/sachbuch/studienbuch-waldorf-jugendpaedagogik/)
(S. Hesse)