Vermessung im Dienste des Denkmalschutzes

Eine Mauer friedet eine Art Hochbeet ein, Büsche folgen den vor- und zurückspringenden Mauern. Blickte man von oben, würde man den kreuzförmige Kirchengrundriss in Zechin leicht erkennen. Ein stehendes hohes Holzkreuz markiert den Ort des ehemaligen Altars.

Vom Menschen-Standpunkt unten aus dagegen erschließt sich das aus einer Ruine teilrekonstruierte Gebäude nicht leicht. So legten wir ein Netz von Polygonpunkten, mit Fluchtstangen markiert, über Kirche und Zuwegungen bis hin zur Straße.

Was hat die Kirche ruiniert? Wie so oft im Oderbruch wurden die Kirchen als markante Landzeichen am Ende des Zweiten Weltkriegs entweder von den Deutschen rückgebaut, genauer: gesprengt, oder/und von den auf Berlin vorrückenden Soldaten der Sowjetarmee beschossen.

Dieser Kirchenbau wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf einer kleinen, aber hochwassersicheren Anhöhe errichtet. Das fruchtbare Land war im 18. Jh. von Siedlern über Entwässerungsgräben den Oder-Auen abgewonnen worden.

Derlei Informationen erhielten wir von Hrn. Petzel, dem zuständigen Denkmalschützer. Eines Tages soll ein Buch entstehen über die vielen Kirchenruinen im Oderbruch, wofür unsere Karte dienlich sein wird.

Das Vermessungspraktikum ist Teil des Mathematikunterrichts der zehnten Klasse an Waldorfschulen und bietet Gelegenheit, die erlernten trigonometrischen Verhältnisse zur Anwendung zu bringen. Ein Netz aus Dreiecken wird dabei über das zu vermessende Gelände gelegt. Fluchtstangen markieren seine Knotenpunkte. Mittels Theodoliten werden die Stangen angepeilt und der von ihnen eingeschlossene Winkel gemessen, wobei uns oft die Herbstsonne wärmte. Weiterhin wird nur ein Abstand zwischen zwei zentralen Fluchtstangen benötigt. Mithilfe des Sinus- und Cosinussatzes können dann alle weitere Seitenlängen berechnet werden, sodass das Netz nunmehr ausschließlich bekannte Größen enthält. Dann kommen Winkelprismen zum Einsatz, um die relevanten Punkte des Geländes in Bezug zum Polygonnetz zu bringen und schließlich deren exakte Maße zu ermitteln. Auf diese Weise ließen alle unsere Jugendlichen in Zechin eine exakte Karte entstehen.

Zeitgleich erwächst in den Schülerinnen und Schülern die Erkenntnis, dass sich die Welt mit einfachen Mitteln begreifen lässt. Die Grenze zwischen abstrakter und angewendeter Mathematik verschwindet mit der Arbeit der Hände an den Geräten und dem Verrechnen der Werte, aus denen schließlich bildliche Darstellungen erwachsen: fertige Karten!

Kopien stellen wir sowohl der Denkmalbehörde als auch dem Pfarrer und dem Bürgermeister zur Verfügung, alle hatten uns besucht und im großen Zelt auf unserem Campingplatz ihre Sicht auf das Leben im Oderbruch dargelegt.

Am letzten Freitagnachmittag vor den Herbstferien eilten viele Eltern der 10. ins Foyer, um sich in einer Präsentation sowohl die Prinzipien erklären zu lassen als auch die individuellen Karten zu betrachten. Drei geschickt geschnittene Film-Portfolios einzelner Gruppen stellten die benötigten Geräte nochmals vor. Kuchen aus Fallobst von der benachbarten Streuobstwiese in Zechin rundeten die Präsentation ab.

(S. Hesse, J. Kavalakkatt, T. Förster)