Die Erfüllung eines Traumes – Die Lakota Waldorf School

Wie alles begann
Ich habe mir in meinem Freijahr einen Kindheitstraum erfüllt. Vielleicht kennen Sie auch „Die Söhne der großen Bärin“ von Lieselotte Welskopf-Henrich? Unzählige Male habe ich in meinem Leben diese 6 Bände gelesen und den Freiheitskampf des Lakota Teton Oglala Häuptlingssohnes „Harka“/ „Stein mit Hörnern“ innerlich begleitet. Und es gab dann noch mehr Bücher von dieser Schriftstellerin: 5 dicke Bände, die 100 Jahre später das Leben und Überleben der Nachfahren von Harka in der Reservation bei den Black Hills beschreiben.

Genau da war ich
Damit das Wirklichkeit wurde, musste sich aber die Welt verändern: Deutschland musste eins werden, ich musste die Waldorfpädagogik kennenlernen und als Lehrerin arbeiten, meine Töchter mussten erwachsen werden, damit ich mir dann ein Freijahr zusammensparen konnte.

Und dann bedurfte es nur noch eines Buchgeschenkes von einer lieben Kollegin und einer gehörigen Portion Mut, um zwei Herzensanliegen in mir zusammenzubringen, die nordamerikanischen Ureinwohner und die Waldorfpädagogik.

Die Schweizerin ISABEL STADNICK beschreibt in ihrem Buch „Wo meine Seele wohnt – Mein Leben bei den Lakota“, wie sie als junge Frau nach Amerika in die Pine Ridge Reservation im Südwesten des US- Bundesstaates South Dakota reiste, sich da in einen Lakota verliebte, heiratete und dort blieb. Wie herausfordernd und schwierig das Leben dort im ärmsten Gebiet der USA für die indigene Bevölkerung ist: Dort herrscht die höchste Arbeitslosenquote Amerikas, eine hohe Kriminalitätsrate (meist im Zusammenhang mit Alkohol und Drogen), eine hohe Kindersterblichkeit und Jugendsuizidrate und eine geringe durchschnittliche Lebenserwartung (laut Wikipedia bei Männern 47 Jahre, bei Frauen 55 Jahre – so alt, wie ich es jetzt bin).

Um den Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen, in der die Sprache, die Rituale, die Kultur und die Lebenseinstellungen weiterleben können, gründeten 1993 engagierte indigene Eltern, Freunde, Isabels Mann und sie eine neue Schule. In den ganzheitlichen, prozessorientierten Prinzipien der Waldorfpädagogik fanden sie Ähnlichkeiten zu ihrer Tradition und Lernweise.

So entstand in Kyle, South Dakota, USA die Lakota Waldorf School.

Die Schule
Ende August 2022 reiste ich (auf Grund einer Buchungsungeschicklichkeit mit nur 8 kg Handgepäck) für nahezu 3 Monate nach South Dakota. Auf meine Anfrage hin hatte mich Isabel Stadnick eingeladen und gebeten, in dieser Zeit die unerfahrene Klassenlehrerin der 3./4. Jahrgangstufe zu mentorieren. Ich war ganz schön aufgeregt, als ich dann die junge Lakota Alex und die 8 Kinder ihrer Klasse kennenlernen durfte. Die Kinder waren so scheu und still. Wenn sie auf gestellte Fragen antworteten, sprachen sie so leise, dass ich sie zunächst gar nicht verstand. Zumal zu dieser Zeit noch eine strenge Maskenpflicht wegen Corona herrschte.

Der Tribe / Stamm war dahingehend sehr streng, denn viele Kinder wachsen bei ihren Großeltern auf, weil ihre Eltern mit Problemen wie Alkohol oder Drogen kämpfen oder gar im Gefängnis sind. Die Ältesten sind das größte Gut eines Stammes und müssen unbedingt geschützt werden, da sie das alte Wissen und die Kultur noch bewahren und in sich tragen.

Mittags aß ich dann in der Kantine gemeinsam mit allen Schülerinnen und Schülern von der 1. bis zur 8.Klasse und fühlte mich zunächst sehr fremd. Es waren insgesamt nur so viele Kinder wie bei uns in einer Klasse, die Kleineren bekamen ihr Mittag im Kindergarten. Es waren zu der Zeit etwas über 30 Kinder an der Schule. Das Essen wird dort täglich selbst gekocht, gern wurde auch Gemüse (Paprika, Tomaten) aus dem kleinen Schulgarten verwendet.

Es ist gut, dass die Kinder dort 3 frisch bereitete Mahlzeiten bekommen. Der Schulbus sammelt die ersten so früh ein, dass sie praktisch aus dem Bett in den Bus fallen und nach über 1 Stunde dann in der Schule ankommen. Dann gibt es für alle ein meist gesundes Frühstück, bevor es in die Klassenräume zum Unterricht geht. Bis zum Mittag wurde es dennoch manchem Kind ganz schön lang, Schulbrot von daheim hatte niemand mit. Und bevor der Schulbus um 15 Uhr die Kinder wieder zu ihren weit entfernten Wohnorten bringt, gibt es noch einen Snack, denn die Fahrt ist lang.

Zu Beginn meiner Zeit dort fiel mir auf, wie leise, ruhig und zurückhaltend die Kinder sich verhielten, ob in der Kantine oder in den Klassenräumen. Das kenne ich aus unserer Schule nicht unbedingt, schon gar nicht beim Essen. Aber es war noch zu Beginn des Schuljahres, alles musste wieder vertrauensvoll erobert werden. Mit der Zeit wurden alle miteinander wieder vertrauter, munterer, ausgelassener, auch etwas lauter. Auch die Lernatmosphäre änderte sich von Tag zu Tag, vom Beginn der Woche bis zu ihrem Ende, je nachdem, was die Kinder daheim erlebt hatten. Manchmal waren da schon Gewalterfahrungen…..

Die Sprache
Ich unterstützte Alex, so gut ich konnte. Wir sprachen über Unterrichtsvorbereitung, Epochenplanung, Tafelbilder, Hefteinträge, die Kinder. Im Oktober habe ich sie sogar für eine Woche vertreten, damit sie zu einer Hochzeit fahren konnte.

Ach ja: gesprochen wird dort englisch, kaum jemand vermag fließend Lakota zu sprechen. Das ist sehr traurig, denn in der Sprache drückt sich die Kultur und die Seele eines Volkes aus, ihre geistigen Werte und die Anschauung der Welt. Und es ist so schwer, eine Muttersprache neu lernen zu müssen von außen.

Die Kinder lernen Lakota als Fremdsprache, ähnlich mit Sprüchen, Liedern und Spielen, wie bei uns an der Schule Russisch gelernt wird. Nur manche kennen einige Worte oder verstehen etwas mehr, wenn die Großeltern zu Hause noch Lakota sprechen. Um Lakota mehr im Schulalltag zu integrieren, hatten selbst die MitarbeiterInnen vom Büro und die Lehrkräfte von Kindergarten und Schule einmal in der Woche am Nachmittag Unterricht in Lakota, eine Beginnerklasse (in der ich mitmachen durfte!!) und die Fortgeschrittenen. Die Klassenlehrerin der 1./2.Klasse, eine Eurythmistin aus Iowa, vermochte jetzt am Schuljahresende immerhin den Anfang des Morgenspruches und verschiedene Anreden, wie „Guten Tag, auf Wiedersehen, setzt euch, steht auf, gib mir bitte…“etc. zu sagen. Bei mir sind leider nur ein paar Worte hängen geblieben, aber es war sehr spannend, in diese indigene Sprache eintauchen zu dürfen.

Wovon ich nicht berichte
Es gäbe noch soooo viel zu erzählen: Von den KollegInnen, die jeden Tag von 15 bis 16 Uhr teacher training, Konferenz oder Lakota-Unterricht haben.

Vom Lehrer für Lakota Kultur, der ein begnadeter Musiker/Komponist, Sänger und Künstler ist.
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(Tipp, sehr, sehr empfehlenswert anzuhören: SANTEE WITT, auf Youtube kann man ihn und seine Lieder finden)

Vom Lehrermangel auch da und der großen Hoffnung, dass die Menschen, die da sind, auch bleiben mögen für länger. Von den Kindern. Von den Landschaften, dem Klima, den Black Hills, den Badlands, den Büffeln, den Menschen, dem Rodeo oder vom Pow-Wow in Rapid City. Von Schwermut und Hoffnung.

In diesem Jahr feiert die Lakota Waldorf School ihr 30-jähriges Bestehen
Die Lakota Waldorf School ist die einzige US-Waldorfschule in einem der Native-American-Reservate. Es ist unglaublich, was dort in der Prärie, inmitten von wogenden Grassteppenlandschaften, die noch nie ein Pflug umgebrochen hat, inmitten von Weiter-Nichts, geleistet wird. Diese kleine Schule ist für die Kinder für einen großen Teil des Tages ein sicherer Hort, wo sie ungestört lernen, leben und lachen können. Auch wenn sie nach der 8.Klasse in andere Schule gehen, hoffen die LehrerInnen, dass sie in dieser Schulzeit Erfahrungen gemacht haben, die es ihnen ermöglichen, Sinn in ihrem Leben zu sehen, einen Abschluss zu machen und ihren Weg zu gehen.

Die Eltern sind so arm, dass niemand Schulgeld, Essensgeld oder Schulmaterialien bezahlen kann. Die Schule ist offen für jedes Kind, das kommt. Sie finanziert sich ausschließlich über Spendengelder und Fundraising, was der unermüdlichen Arbeit von Isabel Stadnick zu verdanken ist. Seit 30 Jahren ein Leben für eine Liebe, einen Traum.

Nun ist mit Spendenhilfe nach 7 Jahren ein wundervolles Schulhaus entstanden, dessen letzter Bauabschnitt am 10.August eingeweiht werden wird. Dafür gibt es Vorhaben: Sowohl die Küche und die Schulspeisung als auch die Büros werden dort ihren Platz finden. Es gibt auch Träume für die Zukunft: ein Elterncafé, eine Begegnungsstätte für Frauen und Männer des Tribes, kreative Kurse, vielleicht eine Ausbildungsstätte oder ein Internat für Kinder, die zu Hause nicht gut aufgehoben sind…..

Es ist ein guter Ort und ich bin so froh, dass es mir möglich war, ihn zu besuchen und Freundschaften zu knüpfen. Dafür bin ich allen dankbar, die mir dies ermöglicht haben.
„Pilamaya ye“
(Du hast mich dankbar gemacht)

Links
Sollte ich Sie neugierig gemacht haben, finden sie weitere Informationen unter:

https://lakotawaldorfschool.org
https://dasgoetheanum.com Pädagogik – 30 Jahre erfolgreiche Lakota Waldorf School
https://www.erziehungskunst.de „Waldorfschule im Indianerreservat. Bei den Lakota in Pine Ridge“

Spendenmöglichkeit
Dieses Projekt wird unterstützt durch

https://www.betterplace.org

Und jede Spende hilft, sei sie auch noch so klein! Ich würde mich sehr freuen, wenn ich Sie dazu verführen konnte.

(K. Neynaber)