An der Schnittstelle zwischen Physik und Zuckerbäckerei tat sich um das Jahr 1600 in der Schweiz ein Phänomen auf. Ein italienischer Zuckerbäcker schlug in Meiringen Eiweiß und Zucker auf und trocknete die Masse zu einer schaumigen Süßspeise, die wir heute als Meringue, Baiser oder Schaumkuss kennen. Den Vergleich mit einem Kuss soll die Englische Königin angestellt haben. Die französische Bezeichnung Baiser (=Kuss) ist jedoch völlig aus der Luft gegriffen, die Franzosen kennen das Gebäck unter d iesem Namen nicht.
Apropos Luft: Was macht ihn denn nun so schaumig, den Schaumkuss? Aus Sicht der Physik ist es das Verhältnis zwischen äußerem Luftdruck und dem Druck der Luftbläschen im Gebäck. Mithilfe der Eimasse halten sie ein Gleichgewicht aufrecht. Pumpt man unter einer luftdichten Käseglocke nun etwas von der Umgebungsluft ab, so ändert sich das Verhältnis. Der Umgebungsdruck sinkt aufgrund der relativ geringen Luft im gleichgroßen Raum. Um auf denselben Druck zu kommen, dehnt sich der Schaumkuss aus. Auch in den inneren Bläschen bleibt die gleiche Menge an Luft, die sich dann jedoch auf größere Bläschen verteilt, bis das Verhältnis wieder im Gleichgewicht ist. Am Schaumkuss wird also nicht von außen gezogen, sondern von innen gedrückt! Dieser Versuch war ein schmackhafter Zwischenschritt in der Physikepoche der Klasse 9, in der ähnliche Phänomene rund um Wärme, Druck und Energie beleuchtet und auf ihre Nutzbarkeit hin untersucht wurden. Vom Schaumkuss ist es nicht weit bis zum Dampfheber, der Dampfmaschine, dem Schnellkochtopf oder zu Druckunterschieden in der Luft, die wir als Geräusche wahrnehmen können.
Leider produziert das Experiment keine größere Menge an Schaum. Im Gegenteil: Wenn sich der Umgebungsdruck wieder normalisiert, ist die Struktur des Schaumes zerstört und er sinkt zu einer ziemlich traurigen Pfütze zusammen.
(Tom Förster)