Seit nun schon sechs Jahren sind wir freundschaftlich mit der sansibarischen Waldorfschule verbunden und haben mit großem Engagement aus der Schulgemeinschaft auf vielfältige Weise diesen feinen Waldorfimpuls südlich des Äquators unterstützt. Ich selbst bin mindestens einmal jährlich vor Ort und pflege dazwischen den Kontakt mit den Lehrern. Erfreulicherweise war jetzt eine Familie unserer Schule für einen ganzen Monat auf Sansibar und hat aktiv am dortigen Schulleben teilgenommen. Im letzten Schulboten (18) konnten wir schon den Artikel von Johan Grimsehl über seine Erfahrungen im Unterrichten lesen. Danke den mutigen Abenteurern für diesen wunderbaren Beitrag zu unserer Zusammenarbeit!
(Catharina Engelke)
Ich wate am ersten Schultag mit den Kindern durch die roten, lehmigen Pfützen, wo sonst ein Fahrweg zur Waldorfschule führt. An diesem Morgen auf Sansibar offenbart sich mir der hohe Preis, den wir in Deutschland für funktionierende Straßen und materielle Sicherheit zahlen. Der Kontrast: Die Kultur der Gelassenheit, das gelebte „Hakuna Matata“ (übersetzt: “keine Sorge”). Alles geschieht hier spontan und notwendigerweise. Materieller Mangel, unvorhergesehene Ereignisse wie Unwetter, Strom- und Internetausfälle, Totalkollaps des Verkehrs oder geschlossene Läden prägen den Alltag. Doch trotz oder gerade wegen dieser Unwägbarkeiten begegnen mir überall strahlende, interessierte, offene Gesichter – eine Herzenswärme, die ich in Potsdam oft vermisse. Hier fühle ich mich in jedem Moment willkommen.
Das Schulprojekt Zanzibar Steiner School
Unser 5-wöchiger Aufenthalt an der Steiner-Schule in Sansibar wird von schöner Gastfreundschaft geprägt. Wir profitieren von den langjährigen Beziehungen zwischen Potsdam und dieser Waldorfschule, die hauptsächlich für Waisenkinder aus den Vororten von Stonetown gegründet wurde. Die Schule, die ausschließlich auf Spenden angewiesen ist, kämpft mit finanziellen Engpässen. Sie musste deswegen im Dezember für 2 Wochen geschlossen werden. Ein Waisenkind an der Schule hat in der Regel “nur” den Vater verloren. Das jedoch bedeutet im patriarchalen Kontext oft, vollkommen am Rand der Gesellschaft zu stehen. Die Kinder sind teilweise schwer traumatisiert, doch die Klassengemeinschaft bietet ihnen eine fröhliche, geregelte und sichere Heimat.
Die Schulbildung auf Sansibar steht im Vergleich zu den Nachbarländern gut da, aber es mangelt an pädagogischen Ressourcen für belastete Kinder. Das Waldorfkonzept der Zanzibar Steiner School fasziniert mich und scheint einen guten Weg aufzuzeigen.
Die großzügige Spende vom Potsdamer Weihnachtsbasar wurde von uns überreicht und sehr dankbar entgegengenommen. Sie sollen für neue Stühle verwendet werden, was sich als herausfordernd erweist. Jeden Tag werde ich über den Fortschritt der Anschaffung unterrichtet, unglaublich, was in der hiesigen Ökonomie alles schiefgehen kann, ein Kostenvoranschlag zu erhalten und damit zu erfahren, wie viele Stühle von dem Geld bezahlbar sind, scheint unmöglich. So sehen wir das Ergebnis nicht, doch die Motivation der Schulgemeinschaft bezüglich der Anschaffung bleibt hoch: Die Stühle werden gebraucht. In etlichen Klassen muss man auf Matten auf dem Boden sitzen.
Schulleben
Im Gang zwischen den Klassenzimmern der Unterstufe hallen fröhliche Kinderlieder wider – Momente, die uns beglücken und mir die Bedeutung eines solchen Projekts immer wieder unterstreichen. Auf dem Schulhof wird zeitgleich Hine-Ma-Tov in Dur gesungen.
Die Mischung aus europäisch anmutender Waldorf-Folklore und lokaler Kultur bleibt dabei ein wenig unheimlich. Besonders gut gefällt mir die Anpassung des Waldorf-Lehrplans an lokale Bedingungen. Die 6. Klasse lernt nicht etwa römische Geschichte, sondern Ancient African History. Die Waldorfpädagogik, die den Kindern helfen soll, von oft gewaltvoller häuslicher Disziplin zu Freiheit überzugehen, ist mir zugleich vertraut und in der hier gelebten Form auch sehr fremd. Aber die älteren Klassen zeigen ein lebhaftes Durcheinander, es scheint zu funktionieren!
Eine Herausforderung ist die Vereinheitlichung mit dem staatlichen Bildungssystem. Dies wird bei den Abschlussprüfungen der 9. und 10. Klasse deutlich – eine immense Aufgabe für die Kinder hier, die Prüfungen sind auf internationalem Niveau und komplett auf Englisch – eigentlich unlösbar …
Der Schulalltag für uns
Jeder Schultag beginnt für uns mit einem Abenteuer: überfüllte Dala-Dalas (Minibusse), die Wahl zwischen Bajaji (Tuk Tuk) und Taxi, Verhandlungen über Fahrpreise und Routen durch chaotischen Verkehr. Wir bringen Computerunterricht und Weiterbildung für Lehrer in die Schule, stoßen aber auf unterschätzte technologische und Wissensbarrieren.
Mein Sohn Johan, 16 Jahre alt und sonst bei Herrn Kavalakkatt in der 10. Klasse, unterrichtet in der Oberstufe die Grundzüge der generativen KI. Ich sehe in ungläubige Gesichter und frage mich, wie ChatGPT und Co. diesen Teil von Afrika verändern werden. Die Internetabdeckung ist heute noch extrem unzuverlässig und so teuer wie in Deutschland. Alle Lehrer haben Smartphones, können diese aber wegen der hohen Kosten oft nicht nutzen.
Nachmittags kehren wir erschöpft von Hitze und Verkehr in unsere Wohnung am Rande von Stonetown zurück und ich staune über die Lebenswirklichkeit und Energie der Menschen hier.
Die 6. Klasse macht Geometrie-Epoche
Mein Sohn Elias, 12 Jahre alt und sonst bei Frau Shevnina in der 6. Klasse, nimmt am Unterricht der 6. Klasse teil. Die Klasse hat gerade Geometrie Epoche. Lehrer Ame unterrichtet erfahren und gut im Waldorfkonzept auf Englisch und Swahili. Plötzlich integrieren die Schüler arabeske Muster in ihre geometrischen Zeichnungen, ein Spiegel der muslimischen und orientalischen Kultur Sansibars. Ich finde es gelungen, die griechische Mathematik und sansibarische Tradition auf diese Weise zusammenzubringen. Elias, der die Aufgaben viel schneller versteht, genießt die Anerkennung seiner Mitschüler. Obwohl die Schüler dieser Klasse entwicklungsbedingt hinter deutschen Altersgenossen stehen, merkt man deutlich, dass andere Aspekte der Bildung an dieser Schule wichtiger sind.
Gelebte Spiritualität
Der muslimische Glaube bildet das soziale Rückgrat Sansibars. Im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern fällt mir der positive Einfluss auf: kein Alkohol, niedrige Kriminalitätsraten und ein sehr spürbarer persönlicher gegenseitiger Halt der Menschen. Die meisten Männer beten mehrmals täglich in der Moschee, was die gesellschaftliche Struktur prägt und letztlich auch ein wichtiger Werte-Kern der Schule ist. Mir wird klar, wie relevant ein spiritueller Kanon für diese Schule ist!
Was können wir lernen?
Während meines Aufenthalts frage ich mich, was Sansibar wirklich von uns benötigt, abgesehen von finanzieller Unterstützung. Gibt es hier überhaupt etwas zu verändern, zu verbessern, von außen beizutragen? Zugleich reflektiere ich, aus welchem kulturellen und sozialen Reichtum wir hier lernen können – von der Art, wie selbstverständlich Gemeinschaft hier ist, gegenseitige Unterstützung und Händereichen. Jeden Tag mehr bewundere ich die Leichtigkeit, Resilienz und Anpassungsfähigkeit der Menschen auf Sansibar.
(M. Grimsehl)