„Was kann ich wissen?“ – an dieser Grundfrage der Philosophie droht Faust zu zerbrechen, da er sie selbst nach Aufbietung magischer Kräfte nicht positiv beantworten kann. Doch kurz bevor er sich den goldenen Schuss setzt, fühlt er in der Tiefe seiner Seele die Resonanz der Osterglocken, auch wenn er für sich vom Verstand her die andere der Grundfragen – „Was darf ich glauben?“ – längst ebenfalls negativ beantwortet hatte. Nun darf und will er weiterleben und da ihn keine Skrupel hinsichtlich der Frage „Was soll ich tun?“ plagen, entwickelt er sich im Bunde mit Mephistopheles zu einem Spiegelbild des modernen Menschen, der unersättlich immer und überall alles haben will, ohne je wirklich etwas zu genießen oder gar jemals zufrieden sein zu können. Ein „genug“ gibt es nicht, weder für uns noch kann sich Faust dergleichen vorstellen.
Und so umkreist die 12. Klasse in der laufenden Deutsch-Epoche ununterbrochen die vierte der philosophischen Grundfragen: „Was ist der Mensch?“
Am Ende des I. Teils der Tragödie steht dieser moderne Mensch als ein Mörder, ein Anstifter zum Todschlag und Zerstörer eines jungen Mädchens auf der Bühne, willfährig verführt von seinem Bundesgenossen, dem Teufel. Aber wie sind die beiden eigentlich zu denken?
Steht Faust wie auf Dürers Grafik als Ritter inmitten der äußeren Anfechtungen durch das Böse oder ist er selbst auch Mephisto, wie es ein Porträt Francis Bacons nahelegt? Oder gibt es noch eine dritte Perspektive? Die Sichtweisen und Argumente der Jugendlichen in dieser Frage zu hören, war sehr interessant (die meisten tendierten zum Bacon-Bild).
Noch interessanter versprechen die Essays zu werden, die thematisch ein Zitat oder Motiv des „Faust“ aufgreifen sollen und als Langzeitaufgabe während der Epoche zu verfassen sind. Von „Glück“ über „Selbstoptimierung“ bis zu „Determinismus“ spannen sich die Themen, die in ihrer Vielfalt jenem bunten Bogen gleichen werden, in dem Faust zu Beginn des II. Teils jenen „farbigen Abglanz“ des Sonnenlichtes erkennt, an dem wir „das Leben haben“. – Vielleicht findet ja der eine oder andere Text seinen Weg in den Schulboten.
(Jan Wandtke)