Das Landwirtschaftspraktikum liegt in der Entwicklung der Kinder / Jugendlichen in einer Zeit, in der die Bewusstseinskräfte erwachen und sich die jungen Menschen an der Schwelle der Pubertät viele Lebensfragen neu stellen.
„Auf der einen Seite steckt heute der Mensch, der in das Bewusstseinsseelenzeitalter hineinwächst, in seinen abstrakten Kopfideen darinnen. Auf der anderen Seite aber lebt, außerhalb des Kopfes das Begehren, mehr zu erleben, als was der Kopf erleben kann. (… )
Der Mensch weiß nur noch in seinem Kopfe etwas von der Welt. Ein umso intensiveres Begehrungsvermögen hat er aber, auch mit seinem übrigen Organismus mit der Welt in irgendeiner Weise zusammenzukommen.“ 1
Dazu kann und soll das Praktikum in der Landwirtschaft einen ersten erlebbaren Grundstein legen. Die Schüler und Schülerinnen (SuS) kommen in Begegnung mit anderen Menschen, Tieren, Pflanzen, der Erde. Sie können sich neu als Teil der Natur in einer realen Welt im persönlichen Miteinander begreifen.
Gemessen an der gegenwärtig beobachtbaren Entfremdung von Menschen und Natur ist es umso wichtiger, sich ihrer Verbindung zu erinnern oder sie wieder neu zu entdecken. Was wäre in unserer Zeit wichtiger, als auf unsere Umwelt und auf uns selbst zu achten und beides zu schützen?
In ersten zarten Ansätzen zeigt sich diese Empfindung in der Sorge um den Zustand unserer Erde in der Bewegung „Fridays for Future“. Von der Art, wie die Erde angesehen wird – etwa als Rohstofflager, als Wesen oder als heiliger Ort des Kosmos –, hängt auch der Umgang mit ihr ab. Das Landwirtschaftspraktikum ermöglicht das Erleben unserer Erde als lebendiges Geschöpf und zeigt auf, wie die Gesundheit der Erde mit der Gesundheit des Menschen eng verbunden ist. Jeder bio- dynamisch arbeitende Hof erkennt diese Tatsache an und berücksichtigt das in seinem Umgang mit ihr.
Fühlen auch die Jugendlichen diese Verbindungen und Kreisläufe in der Natur und im Organismus eines landwirtschaftlich, die Erde kultivierenden Hofs, so werden sich ihre Erkenntnisse darüber tiefer einprägen als „kalte Begriffe“ im Kopf, zu denen sie keine innere Beziehung aufbauen konnten.
Schüler erleben, dass es sich bei den Höfen um ganz individuelle Ausprägungen handelt (und tauschen ihre Eindrücke während des Praktikums intensiv über ihre Medien aus) . Menschen, klimatische Bedingungen, Böden, Niederschläge, Tiere und Vegetation gestalten den Charakter einer lebendigen Ganzheit. Hier können die Jugendlichen ihren Willen erproben mit Tatkraft, Umsicht, Mut und Geistesgegenwart. Ihr Urteilsvermögen, das Erkennen übergeordneter Zusammenhänge sowie soziales Verhalten können gefördert werden. Dafür bleiben sie ganze drei Wochen auf dem Bauernhof.
Neben dem Erüben wichtiger Kompetenzen (sozial, persönlich und fachlich) bleibt ein vornehmliches Angebot dieses Praktikums, sich tätig und empathisch der Erde zuzuwenden, die Grundlage unseres Lebens ist.
(Annelie Kirsch, Gartenbaulehrerin und Koordinatorin LWP)
1 Rudolf Steiner Geistige Wirkenskräfte im Zusammenleben von alter und junger Generation 11. Vortrag